Am 6. Oktober 2018 besuchte die Naturhistorische Gesellschaft Hannover mit 40 Teilnehmern die Zuckerfabrik Nordstemmen, die zu Nordzucker gehört.
Nordzucker produziert europaweit seit über 180 Jahren Zucker aus Rüben. Zum Unternehmen gehören 5 deutsche Werke in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sowie Zuckerfabriken in Dänemark, Finnland, Litauen, Polen, Schweden und der Slowakei.
Das Werk in Nordstemmen wurde 1865 erbaut und im Jahr 2003 von der Nordzucker AG übernommen. Neben dem Werk in Uelzen, dient Nordstemmen als zweiter zentraler Standort der Zuckerherstellung für die SweetFamily-Handelsmarken. Hier werden neben Raffinade und Puderzucker für den Haushaltsbereich auch Grundsorte, Sandzucker und einige andere Sonderspezifikationen für Industrie und Einzelhandel produziert. Hinzu kommen die Bereitstellung für die Weiterverarbeitung in der Lebensmittelindustrie sowie die Herstellung und Verpackung von Puderzucker für Industriekunden. Als Nebenprodukte werden Melasse, Pellets, Pressschnitzel und Carbokalk als Düngemittel für die Landwirtschaft hergestellt.
Im März 2001 wurde in Nordstemmen ein Flüssigzucker-Werk in Betrieb genommen. Seitdem werden ganzjährig verschiedene Sorten Flüssigzucker, Mischungen mit flüssigen und kristallinen Komponenten, Fondant, Fruktose und Bienenfuttersirup und Bienenfutterteig produziert.
Die gesamte Nordzucker-Gruppe produzierte während der Kampagne 2017/2018 2,7 Millionen Tonnen Zucker.
Über 30.000 Landwirte pflanzen in Deutschland Zuckerrüben an. Die Rübe bildet aus Wasser (aus dem Boden), Kohlendioxid (aus der Luft) und Sonnenenergie Zucker und speichert ihn. In der Zuckerfabrik wird dieser mit heißem Wasser aus der Rübe herausgelöst und auskristallisiert – das ist die Kurzform.
1600 landwirtschaftliche Betriebe liefern ca. 1,7 Millionen Tonnen Zuckerrüben nach Nordstemmen. Das Einzugsgebiet des Rübenanbaus liegt zwischen Bremen im Norden und Göttingen im Süden. Im Osten wird das Gebiet in etwa von der A7/A27 Bremen-Göttingen und im Westen etwa von Sulingen, Minden, Hameln und Höxter begrenzt.
Im März und April werden die Rübensamen gesät. Ab September werden die Rüben schonend mit einem Rübenernter geerntet. Dabei werden die Blätter und ein kleiner Teil des Rübenkopfes abgeschlagen, gehäckselt und auf dem Feld als Gründünger eingearbeitet. Die Rüben werden dann fast ausschließlich mit speziellen Kipp-LKW zur Zuckerfabrik transportiert. Wenige Bauern liefern noch selbst mit Trecker ihre Rüben an. Die genannten LKW wie auch alle weiteren Großgeräte werden von Maschinenringen zur Verfügung gestellt, die die gesamte Logistik übernehmen. In der Fabrik werden die LKW zunächst voll und im Anschluss leer gewogen. Außerdem werden Stichproben entnommen (Prüfung des Zuckergehalts und des Schmutzanteils). Danach errechnet sich der Preis für den Landwirt.
Im Werk werden anhaftende Erde, Steine und Blätter entfernt. Nach intensivem Waschen werden die Rüben zu Schnitzeln geschnitten, mit Wasser versetzt und in 70 °C heißem Wasser erhitzt. Dadurch löst sich der Zucker aus den Schnitzeln – es entsteht der Rohsaft. Die extrahierten Schnitzel werden noch einmal gepresst und getrocknet und als Viehfutter verwendet. Während der Rohsaft-Reinigung wird „Kalkmilch“ (aus gebranntem Kalk und Dünnsaft) zugesetzt, um Nichtzuckerstoffe wie Kalium, Natrium und Pflanzensäuren (Oxalsäure) und Eiweißstoffe daraus zu eliminieren – so entsteht klarer Dünnsaft (enthält noch ca. 80 % Wasser). Der überschüssige Kalk wird durch Einleiten von Kohlendioxid zu Calciumcarbonat (Carbokalk) – das nennt man Carbonation oder Saturation. Dieser Kalkdünger wird an die Landwirte weitergeben und dient zur Erhaltung eines gesunden Bodens. Nach der Abpressung wird der Dünnsaft eingedampft, bis nur noch ca. 25 % Wassergehalt vorliegt – so entsteht der Dicksaft (ca. 70 % Zuckergehalt). Durch weiteres Kochen wird der Dicksaft weiter eingedampft bis sich Zuckerkristalle bilden. Der auskristallisierende Zucker wird durch Zentrifugation vom Sirup (Melasse) getrennt – der Kristallzucker entsteht. Braune Melasse bleibt zurück, sie wird gemeinsam mit den abgepressten Schnitzeln getrocknet und als Viehfutter genutzt oder findet Verwendung für alkoholische Gärung.
Der nun fertige Zucker wird noch einige Tage getrocknet und dann in großen Silos gelagert. Später wird er weiterverarbeitet oder in großen Säcken an Großkunden oder in handlichen 1-Kilo-Tüten für den Endverbraucher verpackt.
7 Rüben ergeben 1 kg Zucker
Der Zuckerverbrauch pro Kopf und Jahr In Deutschland liegt bei Frauen bei ca. 18 kg und bei Männern bei ca. 20 kg und ist seit Jahrzehnten relativ konstant geblieben.
Beta vulgaris L. ssp. vulgaris var. altissima gehört zu den Gänsefußgewächsen (Chenopodiaceae, die neuerdings zu den Amaranthaceae gezählt werden).
Bis ins hohe Mittelalter konnte man bei uns nur mit Honig süßen. Der Rohrzucker kam erst nach der Entdeckung des Seewegs nach Asien in unser Land (Stichwort: Vasco da Gama).
1747 erkannte der Apotheker A. S. Markgraf in Berlin, dass die schwach süß schmeckende Substanz in den Runkelrüben (Beta vulgaris var. crassa) mit dem Rohrzucker identisch war. Diese Runkelrüben hatten einen Zuckergehalt von 1,6 bis 3 %. Er wies darauf hin, dass der Zucker auch aus den Rüben isoliert werden könne.
1786 begann F. G. Archard Zucker aus den Rüben zu isolieren und züchtete durch Auslese zuckerreiche Rüben mit einem Zuckergehalt bis zu 8 %.
1802 entstand in Cunern in Schlesien die erste Zuckerfabrik.
Als Wildpflanze und damit als Ursprungspflanze der Zuckerrübe gilt Beta vulgaris ssp. maritima (Wilde Beete), die an den Küsten von Belgien, Holland Schleswig-Holstein und Dänemark und auch auf Helgoland vorkommt. Diese hat noch keine rübenartige Wurzel.
Die Zuckerrübe ist zweijährig. Im 2. Jahr treibt sie einen bis zu 2 m hohen Blütenstand und nutzt dafür die in der Rübe gespeicherten Kohlenhydrate. Gelegentlich kann es vorkommen, dass der Blütentrieb bereits im 1. Jahr erscheint (Schosser) – davon ist der Landwirt ganz und gar nicht erbaut.
1. Jahr Blattrosette und Rüben-Wurzel
2. Jahr Blütenstand (bis zu 2 m hoch mit Frucht- und Samenbildung)
Die Tatsache, dass bei den Gänsefußgewächsen stets drei Früchte In einem Teilblütenstand entstehen, die bei der Reife im Verband bleiben, war der frühere Anbau (nach dem 2. Weltkrieg) sehr arbeitsintensiv, da immer mehrere Keimlinge an einer Stelle entstanden. Die Rüben mussten per Hand verzogen werden – eine mühsame Arbeit.
Durch Zucht gibt es nun schon seit langer Zeit monokarpes Saatgut. Die Frucht, bzw. den Samen kann am Saatgut nicht mehr ohne weiteres erkannt werden, da er eine Hülle aus Nährstoffen und Herbiziden erhält, um ein sicheres Keimen und Anwachsen zu gewährleisten.
Der Zuckergehalt liegt heute bei ca. 18 %.
Das Wasser der Rüben (ca. 75 % des Rübenkörpers) wird für Waschvorgänge während der Zuckerherstellung benutzt. Das gleiche gilt für das „Waschwasser“ der Rüben vor dem Zerschneiden, das in einer betriebseigenen Kläranlage gereinigt wird und Trinkwasserqualität besitzt.
Nimmt man alles zusammen, das Häckseln der Rübenblätter für die Gründüngung auf dem abgeernteten Feld, die Wiederbenutzung des Rübenwassers im Zuckerherstellungsprozess, die Verarbeitung der abgepressten Rübenschnitzel zu Pellets als Viehfutter wie auch die Melasse, kann gesagt werden, dass 100 % der Zuckerrübe verwendet werden. Es geht nichts verloren. Hinzu kommt, dass auch die im Zuckerherstellungsprozess benutzte Kalkmilch durch Einleitung von Kohlendioxid zu Carbokalk führt und so ebenfalls den Landwirten zu Gute kommt.
Dr. Dieter Schulz